Zwei Kindergärten

 

Wir hatten uns vorgenommen, das nachhaltigste und einfachste Gebäude zu entwerfen, dass wir uns vorstellen konnten. Wir haben dafür eine interdisziplinäre Zielvereinbarung formuliert und uns hohe Ziele gesteckt: kein Zement, keine Leime, keine Schäume. Dauerhaft, aber komplett rückbau- und wiederverwendbar. Nur natürliche Materialien. Bilanziell energieautark. Einfacheste  Haustechnik. Erhalt der Bäume auf dem Areal. Wiederverwendung von vorhandenen Bauteilen.

Mit unserem Entwurf ERLA waren wir dann ganz glücklich. Auf Schraubfundamenten erstellt und komplett in Schnittvollholz konstruiert, mit Speichermasse aus Lehmziegeln und einer natürlichen Lüftung, die auch als Nachtauskühlung dient und für die wir mit raumhaltigen Kaminen den nötigen Druckunterschied erzielten. Ausserdem konnten wir zwei alte Bäume erhalten, die gefällt werden sollten. Und zumindest wir glaubten: schön waren die Räume auch. Und das Gebäude identitätsstiftend für den Ort.

Das Projekt wurde im Wettbewerb mit dem zweiten Platz ausgezeichnet und ein schönes, eher konventionelles Projekt eines örtlichen Architekturbüros zum Siegerbeitrag gekürt. Was in der Jury vor sich ging, darüber kann natürlich nur spekuliert werden – aber das identische Preisgeld für den ersten und den zweiten Platz ist zumindest aussergewöhnlich.

Auch der Jurybericht gibt leider keine Auskunft. Da ist viel von „Prinzen und Kapitäninnen, Ritterinnen und Bauersleuten“ oder auch von «gutmütigen Wächtern» die Rede, aber kaum von Architektur. Nur den Technikraum hätte sich die Jury, ohne weitere Begründung, zentraler im Gebäude gewünscht. (Warum auch immer. Das Haus hat ja kaum Technik und wo die Elektroeinführung stattfindet war kaum je Gegenstand von Juryentscheidungen. Es scheint sich eine Art gefühltes Haustechnikwissen zu handeln oder um eine typologisch-räumlich wirksame Spielform der Esoterik.) Und die Nebenräume würden «abgefüllt» wirken.

Eigentlich wird nur im Schlusssatz eine ernstzunehmende Kritik geäussert. Und zwar, dass sich das Projekt in „Formalismen verstricke“. Leider wird kein einziger dieser Formalismen benannt und ich stehe vor diesem Satz wie eine Comicfigur mit plakativ offenem Mund und ganz vielen, dick und gross gezeichneten Fragezeichen über dem Kopf. Es ist vermutlich das am wenigsten formalistische Projekt unserer zwanzigjährigen Bürogeschichte. Noch nie wurde so viel in einem unserer Entwürfe von Konstruktion und Haustechnik – von Luftströmen, Druckunterschieden, Wurzelräumen, Speichermassen, rohen Materialien, Schnittholzlängen und mechanischen Holzverbindungen – definiert.

Wie auch immer. Es ist nicht unüblich, dass ein Jurybericht mehr verschleiert als erklärt – und aus Niederlagen gilt es zu lernen. Vor allem aber sind die Erfahrungen, Gedanken und Ideen auch von nicht realisierten Projekten die Grundlage des nächsten, besseren Entwurfs.

Mit den Gedanken und Absichten aus dem Projekt in Wil machten wir uns also an unseren nächsten Kindergartenentwurf. Wir erweiterteten die Zielvereinbarung um die Absicht, eine vielfältig umnuztbare Struktur zu schaffen, um zukünftige Entwicklungen in pädagogischen Konzepten und Bedürfnissen abbilden zu können. So wurde das Grundkonzept des Kindergartenentwurfs in Wil um eine repetitive, gerasterte Stützenstruktur erweitert, welche auf dem Raster der Tiefgarage beruht und einen direkten Lastabtrag ohne Abfangdecke ermöglicht. Innerhalb diese gerasterten Systems gibt es keine tragenden oder aussteifenden Wände, sodass in Zukunft eine grosse Zahl von Nutzungen möglich ist.

Auch mit diesem Entwurf waren wir sehr glücklich. Diesesmal aber auch die Jury und die Bauherrschaft – und wir hatten das Glück, das Verfahren gewinnen zu können. Heute nun hat die Volksschulgemeinde Bottighofen den Baukredit über knapp 10‘000‘000 Sfr. mit 65% JA-Stimmen angenommen. Wir freuen uns sehr über dieses Resultat, das Vertrauen der Bevölkerung und die nun kommende Umsetzung unseres Projektes.