Corbusianisch

Im vergangenen Sommer wurde unser Dachausbau im Claridenhof fertig gestellt – jetzt sind die Fotografien von Hannes Heinzer eingetroffen. Die Ähnlichkeit mit den Renderings, die wir im Konkurrenzverfahren vor bald drei Jahren erstellt haben, ist frappant und wir waren alle etwas perplex. Die schöne Überraschung des Realität gewordenen Gedankens, sie bleib ein Stück weit aus – man wusste ja schon vorher, wie es aussieht. («Hätte man ja gar nicht mehr bauen müssen!»)

Natürlich ist der empfundene Raum, das reale Licht, der Schall und die Gerüche nach Farbe, Schreinerarbeiten und Reinigungsmittel in den leeren, gerade erst fertig gestellten Räumen immer noch ein Wunder und für uns als Planende überwältigend. Dennoch bleiben die Bilder des Fotografen ein seltsames Gefühl: dass man die aus 3d-Daten und Phantasie hergestellten Bilder drei Jahre später noch einmal zugeschickt bekommt – wieder digital natürlich, aber mit einer realen, nicht nur virtuellen 3d-Modellierung im Hintergrund.

Was das für die Zukunft unseres Berufes heisst, mögen sich andere überlegen bzw. werden wir es ja sehen. Aber was es für uns jetzt, für unsere Arbeitsweise und -mittel bedeutet, möchte ich mir kurz überlegen. Eine Sache dabei hat mich besonders beschäftigt: Bedeutet diese Übereinstimmung von Simulation und gebauter Realität, dass das Handwerk und das Material, die Weiterentwicklungen und Präzisierungen, technische Faktoren wie die Integration der Haustechnik, Statik und Akustik oder menschliche Faktoren wie die Arbeit der Projektarchitektinnen oder der Austausch mit der Bauherrschaft gar keinen Einfluss mehr haben auf die Entwicklung eines Projektes von erstem Entwurf bis zum Ausführungsprojekt?

Die im Anhang gezeigten Bildpaare legen diesen Schluss nahe. Dennoch, bei genauerer Betrachtung und etwas Nachdenken über die speziellen Bedingungen des Projektes, komme ich zu einem anderen Schluss, aus folgenden Gründen.

Zuerst: Der gezeigte Wettbewerb ist mit anderen Konkurrenzverfahren nur beschränkt vergleichbar. Es handelte sich um einen kleineren Umbau in einer denkmalgeschützten Struktur, mit relativ wenig Spielraum und sowohl Bestand als auch Programm waren präzise definiert. Das erklärt, warum unser Beitrag im Konkurrenzverfahren räumlich sehr nahe war am gebauten Projekt.

Dann: Wir haben für die gezeigten Bilder einen auch für uns aussergewöhnlich grossen Aufwand betrieben. Wir haben uns anhand des Projektes Renderwissen angeeignet, viel ausprobiert, gepröbelt und experimentiert. Und es handelte sich um ein relativ kleines Projekt, bei dem schon während eines Konkurrenzverfahrens ein hoher Grad and Detailtiefe erreicht werden konnte. Bei grösseren Projekten – wie kürzlich dem Stefansviertel – sind auch unsere Bilder nicht immer so realitätsnah.

Und schliesslich, als wichtigstes: Drei der vier Räume in diesem Projekt sind weitgehend ohne eigentliche Farben und ohne dominant texturierte Materialien entworfen. Es sind – wie es auch im Bestand war – weiss-graue Räume, gebildet aus einer weissen Gipsschale, ein weiss gestrichenen Betonstruktur und grauen Steinholzböden. Dieser Abstraktheit der Raumgestalt entspricht die Abstraktheit, die ein Rendering zwangsläufig immer hat – und erhöht den Realitätsgrad der Visualisierungen dieses Projektes natürlich. Einfach gesagt: Nur weisse Oberflächen und das wunderbare Licht der Vray-Renderengine ergeben zwangsläufig Bilder, die einer späteren Fotografie nahe kommen. Man sieht denn auch: sobald Farbe und Materialien ins Spiel kommen (Bildpaar vom Treppenhaus) werden die Unterschiede von Rendering und Realität sichtbar.

Und ein letztes: Wir durften vor einigen Jahren schon einmal einen Teil des Dachstuhls des Claridenhofs umbauen. Dies war also unser zweite Versuch und wir wussten schon einiges über die Besonderheiten der Raumstrukturen und der von uns für dieses Haus favorisierten Gestaltungsmittel.

So bleibt die Erkenntnis, dass realitätsnahe Renderings trotz ihrer Unbeliebtheit in ambitionierten Fachkreisen («Räume kann man nur im Modell kontrollieren») auch für Umbauten mehr sein können, als reines Präsentationsmittel: ein wertvolles Werkzeug, um Raum, Struktur und Licht zu kontrollieren.

Aber was ich eigentlich sagen wollte: Die Bilder des gebauten Projektes sind ab sofort auf der Projektseite aufgeschaltet.


Ein Nachtrag: Drei reale Reaktionen auf unsere Weihnachtskarte, die eine Fotografie des Vortragssaals zeigt:
«Sieht ja aus wie ein Rendering!»
«Ist das gebaut?»
«Zuerst habe ich gedacht, es wäre ein Rendering..»
Es scheint also auch in umgekehrter Richtung zu funktionieren: Nicht nur, dass unsere Renderings dem fertigen Projekt ähneln, auch scheint das fertige Projekt – oder zumindest die Fotos davon – unbestimmt an eine allgemeine Renderästhetik zu erinnern  – ich vermute, aus den gleichen Gründen, wie oben geschildert.

Ein Hauptraum mit angegliederten Nischen: Das Raumgefüge des Kindergartens in Horn wird mit der Fertigstellung des Rohbaus nun jeden Tag klarer und klarer ersichtlich. Ein einfaches, aber gleichermassen komplexes Raumgefüge schwebte uns vor und mit jedem Besuch auf der Baustelle sind wir etwas optimistischer, dass es gelingen könnte.

Unsere Entwurfsmethode des Weiterbauens, des Vermischen und Verfremden von Referenzen und – in diesem Fall in besonderem Masse – des Überlagern von Themen, wurde bei diesem Objekt exemplarisch auf Tauglichkeit überprüft: Der Bau ist Teil eines Ensembles aus einer Mehrzweckhalle, Hauswartungsbungalow und nun einem Kindergarten – also die Erweiterung einer Anlage der späten 1960er Jahre, die wir (vor 7 Jahren) selbst renoviert und umgebaut hatten. Es handelt sich dabei um den zeittypischen, vom Brutalismus und besonders von einigen Phasen im Werk von Le Corbusier beeinflussten massiven Modernismus: Kraftvolle Strukturen, roher Sichtbeton, grober Putz – im Innern verfeinert mit Akzenten aus Holz und kräftigen Farben. Das Raumprinzip wiederum leiteten wir von anderen historischen Vorbildern ab – jenen der Arts-and-Crafts-Bewegung und ihrer Übertragungen auf dem Festland –  hier mehr dazu. Und schliesslich wurden diese beiden Einflusslinien mit den Anforderungen einer zeitgenössischen Pädagogik zusammengeführt- und im Sinne eines neuen Ausdrucks wurden die Spuren so weit verwischt, dass sie in einem altneuen Ganzen zusammenfliessen.

Einen Zwischendank an dieser Stelle schon jetzt für die sorgfältige und engagierte Bauleitung durch das Team von Gemperli Stauffacher Architektur (St.Gallen) und an jenes der Firma Popp, die beide trotz Kälte und Regen mit Freude, Hingabe und ungewöhnlicher Präzision unsere Raumphantasien in eine gebaute Realität übersetzen.