Ein neues, altes Ensemble
Wie baut man ein Gebäude zwischen ein denkmalgeschütztes Electrizitätswerk aus der Zeit um 1900 und einem hochwertigen Feuerwehrgebäude in der typischen Architektursprache der 1960er Jahren?
Eine gänzlich neue Sprache in einer Baulücke auf so engem Raum dürfte beide Baudenkmäler bedrängen und kompromittieren. Lehnt man sich also volumetrisch und gestalterisch eher an eines der beiden flankierenden Bauwerke an? Lehnt man sich (historisierend) an die ausgefachte Betonskelettbauweise von Danzeiser + Voser oder die Architektur der vorletzten Jahrhundertwende an? Beides halten wir für kaum machbar.
Wir haben lange über diese Frage nachgedacht – und dann bemerkt, dass das Problem eigentlich schon gelöst ist. Denn es besteht mit dem Zwischenbau von 1897 ja bereits ein Verbindungsbau zwischen den beiden flankierenden Protagonisten unseres Bauplatzes. Unser erster Versuch bestand also darin, die beiden bestehenden Fassaden des Zwischenbaus so zu verschieben, dass ein vergrössertes Spielfeld für die neue Nutzung aufgespannt wird. Aufgrund der grossen Volumina der neuen Nutzung funktioniert diese Strategie nicht zufriedenstellend.
Wir fanden unsere Lösung schliesslich in einem Volumen, dass das fragmentarisch erhalten, historische Ensemble mit einem linearen Bau wieder zu einem Dreiklang ergänzt. Die historische Fassade des Zwischenbaus zerlegen wir, arrangieren sie neu und ergänzen sie mit einem Aufbau in Holz, der architektonisch die historische Dachlandschaft interpretiert und auch dem Bau von Danzeiser + Voser nicht zu nahe tritt.
Mit der Fragmentierung und interpretierenden Weiterverwendung der bestehenden Fassaden eröffnet sich ein neuer Möglichkeitsraum der Gestaltung: Ein neuer Bau, der Geschichte in sich trägt, indem er in seiner Erscheinung zu grossen Teilen aus einem alten Gebäude besteht – einem Gebäude, das schon immer als Verbindungsbau an Ort und Stelle stand. Wir verstehen den “Re-Use” dieser Fassade nicht nur als (verhältnismässig kleinen) Beitrag zur Reduktion von CO2, sondern auch im Sinne einer Spolie – also dem bewussten Einsatz von Bauteilen aus Vorgängerbauten als kulturelle Praxis. Unsere Fassaden sollen ein Stück Stadtgeschichte bewahren, Wertschätzung und Zuneigung zum Bestand ausdrücken, Kontinuität generieren und neue und alte Bauteile über die Epochen hinweg zueinander in Beziehung setzen. Mittels motivischer und physischer Referenz auf die Baugeschichte des unmittelbaren Ortes und die ursprüngliche Bebauung entsteht ein Bedeutungstransfer aus der Geschichte des Ortes – und wenn man so will, auch ein leises Zeichen gegen die Ressourcenverschwendung.
Dazu zerlegen wir die bestehende Fassade einerseits in grössere Module, die wir als Ganzes wiederverwenden – und andererseits in einzelne Backsteine, die wir zum Mauern und Ergänzen verwenden. Die Module, in einfache Stahlrahmen gespannt, können direkt auf der Baustelle gelagert und später wieder eingebaut werden. Die Weiter-Verwendung von Backsteinen historischer Bauwerke (bis ca. 1960) ist unproblematisch, da sich der Materialverbund mit Fugen aus dem recht weichen Kalkmörtel, leicht lösen lässt. Wir benutzen die so gewonnen Ziegelsteine für ergänzende Bauteile, etwa für die neuen Eckpilaster, die Zahnfriese und als Ausfachung im Innern des Gebäudes.
Anstelle der Imitation oder der Coverversion tritt so das Prinzip des Remix in der Form einer interpretierenden Collage. Was in der Musik längst eine eigene Kunstform geworden ist, kann in der Architektur im Zeichen der Nachhaltigkeit ein neues Gestaltungsprinzip von Weiterverwenden und Adaptieren werden. Und wir hoffen, mit diesem Vorgehen die leisen Phantomschmerzen zu lindern, die das arg verstümmelte Ensemble auslöst – und so nicht nur einen Ausdruck für unseren Neubau zu generieren, sondern auch den verbliebenen Bestand zu stärken.
Wir freuen uns sehr über das Resultat des Projektwettbewerbs «Unterwerk Steinachstrasse» , den wir zusammen mit Synaxis und Pauli | Stricker gewinnen durften.