Wir hatten uns vorgenommen, das nachhaltigste und einfachste Gebäude zu entwerfen, dass wir uns vorstellen konnten. Wir haben dafür eine interdisziplinäre Zielvereinbarung formuliert und uns hohe Ziele gesteckt: kein Zement, keine Leime, keine Schäume. Dauerhaft, aber komplett rückbau- und wiederverwendbar. Nur natürliche Materialien. Bilanziell energieautark. Einfacheste  Haustechnik. Erhalt der Bäume auf dem Areal. Wiederverwendung von vorhandenen Bauteilen.

Mit unserem Entwurf ERLA waren wir dann ganz glücklich. Auf Schraubfundamenten erstellt und komplett in Schnittvollholz konstruiert, mit Speichermasse aus Lehmziegeln und einer natürlichen Lüftung, die auch als Nachtauskühlung dient und für die wir mit raumhaltigen Kaminen den nötigen Druckunterschied erzielten. Ausserdem konnten wir zwei alte Bäume erhalten, die gefällt werden sollten. Und zumindest wir glaubten: schön waren die Räume auch. Und das Gebäude identitätsstiftend für den Ort.

Das Projekt wurde im Wettbewerb mit dem zweiten Platz ausgezeichnet und ein schönes, eher konventionelles Projekt eines örtlichen Architekturbüros zum Siegerbeitrag gekürt. Was in der Jury vor sich ging, darüber kann natürlich nur spekuliert werden – aber das identische Preisgeld für den ersten und den zweiten Platz ist zumindest aussergewöhnlich.

Auch der Jurybericht gibt leider keine Auskunft. Da ist viel von „Prinzen und Kapitäninnen, Ritterinnen und Bauersleuten“ oder auch von «gutmütigen Wächtern» die Rede, aber kaum von Architektur. Nur den Technikraum hätte sich die Jury, ohne weitere Begründung, zentraler im Gebäude gewünscht. (Warum auch immer. Das Haus hat ja kaum Technik und wo die Elektroeinführung stattfindet war kaum je Gegenstand von Juryentscheidungen. Es scheint sich eine Art gefühltes Haustechnikwissen zu handeln oder um eine typologisch-räumlich wirksame Spielform der Esoterik.) Und die Nebenräume, also Lager- und Putzräume, würden «abgefüllt» wirken. (???)

Eigentlich wird nur im Schlusssatz eine ernstzunehmende Kritik geäussert. Und zwar, dass sich das Projekt in „Formalismen verstricke“. Leider wird kein einziger dieser Formalismen benannt und ich stehe vor diesem Satz wie eine Comicfigur mit plakativ offenem Mund und ganz vielen, dick und gross gezeichneten Fragezeichen über dem Kopf. Es ist vermutlich das am wenigsten formalistische Projekt unserer zwanzigjährigen Bürogeschichte. Noch nie wurde so viel in einem unserer Entwürfe von Konstruktion und Haustechnik – von Luftströmen, Druckunterschieden, Wurzelräumen, Speichermassen, rohen Materialien, Schnittholzlängen und mechanischen Holzverbindungen – definiert.

Wie auch immer. Es ist nicht unüblich, dass ein Jurybericht mehr verschleiert als erklärt – und aus Niederlagen gilt es zu lernen. Vor allem aber sind die Erfahrungen, Gedanken und Ideen auch von nicht realisierten Projekten die Grundlage des nächsten, besseren Entwurfs.

Mit den Gedanken und Absichten aus dem Projekt in Wil machten wir uns also an unseren nächsten Kindergartenentwurf. Wir erweiterteten die Zielvereinbarung um die Absicht, eine vielfältig umnuztbare Struktur zu schaffen, um zukünftige Entwicklungen in pädagogischen Konzepten und Bedürfnissen abbilden zu können. So wurde das Grundkonzept des Kindergartenentwurfs in Wil um eine repetitive, gerasterte Stützenstruktur erweitert, welche auf dem Raster der Tiefgarage beruht und einen direkten Lastabtrag ohne Abfangdecke ermöglicht. Innerhalb diese gerasterten Systems gibt es keine tragenden oder aussteifenden Wände, sodass in Zukunft eine grosse Zahl von Nutzungen möglich ist.

Auch mit diesem Entwurf waren wir sehr glücklich. Diesesmal aber auch die Jury und die Bauherrschaft – und wir hatten das Glück, das Verfahren gewinnen zu können. Heute nun hat die Volksschulgemeinde Bottighofen den Baukredit über knapp 10‘000‘000 Sfr. mit 65% JA-Stimmen angenommen. Wir freuen uns sehr über dieses Resultat, das Vertrauen der Bevölkerung und die nun kommende Umsetzung unseres Projektes.

 

Im Frühjahr wurde die erste Etappe unserer Produktionserweiterung der Appenzeller Alpenbitter fertiggestellt und kurz darauf in Betrieb genommen. Es handelt sich dabei um einen Neubau eines Hochregallagers für Spirituosen und eine neue Spedition mit Anlieferung und Selbstabholung. Die Bauarbeiten für die zweite Etappe – eine Aufstockung auf die bestehende Abfüllanlage mit Büros und Lagerflächen haben bereits begonnen und werden 2026 abgeschlossen sein.

In den letzten Tagen ist nun die photographische Dokumentation der ersten Etappe abgeschlossen worden. Hannes Heinzer hat den Bau mit grossem Verständnis photographier – einige der Bilder sind nun online und auf unserer Projektseite aufgeschaltet. (Dieser Beitrag ist ein Update zu «Aufgerichtet«)

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Ein neues, altes Ensemble

Wie baut man ein Gebäude zwischen ein denkmalgeschütztes Electrizitätswerk aus der Zeit um 1900 und einem hochwertigen Feuerwehrgebäude in der typischen Architektursprache der 1960er Jahren?

Eine gänzlich neue Sprache in einer Baulücke auf so engem Raum dürfte beide Baudenkmäler bedrängen und kompromittieren. Lehnt man sich also volumetrisch und gestalterisch eher an eines der beiden flankierenden Bauwerke an? Lehnt man sich (historisierend) an die ausgefachte Betonskelettbauweise von Danzeiser + Voser oder die Architektur der vorletzten Jahrhundertwende an? Beides halten wir für kaum machbar.

Wir haben lange über diese Frage nachgedacht – und dann bemerkt, dass das Problem eigentlich schon gelöst ist. Denn es besteht mit dem Zwischenbau von 1897 ja bereits ein Verbindungsbau zwischen den beiden flankierenden Protagonisten unseres Bauplatzes. Unser erster Versuch bestand also darin, die beiden bestehenden Fassaden des Zwischenbaus so zu verschieben, dass ein vergrössertes Spielfeld für die neue Nutzung aufgespannt wird. Aufgrund der grossen Volumina der neuen Nutzung funktioniert diese Strategie nicht zufriedenstellend.

Wir fanden unsere Lösung schliesslich in einem Volumen, dass das fragmentarisch erhalten, historische Ensemble mit einem linearen Bau wieder zu einem Dreiklang ergänzt. Die historische Fassade des Zwischenbaus zerlegen wir, arrangieren sie neu und ergänzen sie mit einem Aufbau in Holz, der architektonisch die historische Dachlandschaft interpretiert und auch dem Bau von Danzeiser + Voser nicht zu nahe tritt.

Mit der Fragmentierung und interpretierenden Weiterverwendung der bestehenden Fassaden eröffnet sich ein neuer Möglichkeitsraum der Gestaltung: Ein neuer Bau, der Geschichte in sich trägt, indem er in seiner Erscheinung zu grossen Teilen aus einem alten Gebäude besteht – einem Gebäude, das schon immer als Verbindungsbau an Ort und Stelle stand. Wir verstehen den “Re-Use” dieser Fassade nicht nur als (verhältnismässig kleinen) Beitrag zur Reduktion von CO2, sondern auch  im Sinne einer Spolie – also dem bewussten Einsatz von Bauteilen aus Vorgängerbauten als kulturelle Praxis. Unsere Fassaden sollen ein Stück Stadtgeschichte bewahren, Wertschätzung und Zuneigung zum Bestand ausdrücken, Kontinuität generieren und neue und alte Bauteile über die Epochen hinweg zueinander in Beziehung setzen. Mittels motivischer und physischer Referenz auf die Baugeschichte des unmittelbaren Ortes und die ursprüngliche Bebauung entsteht ein Bedeutungstransfer aus der Geschichte des Ortes – und wenn man so will, auch ein leises Zeichen gegen die Ressourcenverschwendung.

Dazu zerlegen wir die bestehende Fassade einerseits in grössere Module, die wir als Ganzes wiederverwenden – und andererseits in einzelne Backsteine, die wir zum Mauern und Ergänzen verwenden.  Die Module, in einfache Stahlrahmen gespannt, können direkt auf der Baustelle gelagert und später wieder eingebaut werden. Die Weiter-Verwendung von Backsteinen historischer Bauwerke (bis ca. 1960) ist unproblematisch, da sich der Materialverbund mit Fugen aus dem recht weichen Kalkmörtel, leicht lösen lässt. Wir benutzen die so gewonnen Ziegelsteine für ergänzende Bauteile, etwa für die neuen Eckpilaster, die Zahnfriese und als Ausfachung im Innern des Gebäudes.

Anstelle der Imitation oder der Coverversion tritt so das Prinzip des Remix in der Form einer interpretierenden Collage. Was in der Musik längst eine eigene Kunstform geworden ist, kann in der Architektur im Zeichen der Nachhaltigkeit ein neues Gestaltungsprinzip von Weiterverwenden und Adaptieren werden.  Und wir hoffen, mit diesem Vorgehen die leisen Phantomschmerzen zu lindern, die das arg verstümmelte Ensemble auslöst – und so nicht nur einen Ausdruck für unseren Neubau zu generieren, sondern auch den verbliebenen Bestand zu stärken.

Wir freuen uns sehr über das Resultat des Projektwettbewerbs «Unterwerk Steinachstrasse» , den wir zusammen mit Synaxis und Pauli | Stricker gewinnen durften.

 

Liebe Freund:innen, liebe Kolleg:innen

Wir laden Euch herzlich ein zur Besichtigung der fertiggestellten, ersten Etappe der Betriebserweiterung der Appenzeller Alpenbitter AG. Der Neubau, errichtet aus betriebseigenem Holz, beherbergt das schweizweit erste Hochregallager aus Holz für Spirituosen. Wir freuen uns auf Euren Besuch am:

Samstag, 15.03.2025
11.00 bis 16.00 Uhr

Weissbadstrasse 27, 9050 Appenzell

Wir erwarten Euch auf der Ostseite der Anlage bei Würsten und Getränken, direkt neben dem Viadukt.

Öffentliche Parkplätze sind im näheren Umfeld vorhanden. Über die neue Zufahrtstrasse kann auch direkt durchs Viadukt zur Anlieferung gefahren werden.
Vom Bahnhof Appenzell dauert der Spaziergang wenige Minuten. (Wer mit dem Zug (S21) von St.Gallen anreist, kann das Gebäude schon aus dem Zug aus gut sehen…)

Und noch ein Hinweis: Die Umgebung von Appenzell bietet eine grosse Zahl an wunderbaren Wanderungen jeglichen Schwierigkeitsgrades. Wir beginnen darum schon um 11 Uhr – so lässt sich die Besichtigung der Betriebserweiterung mit einer kleinen Wanderung zu einem schönen Ausflug ins Appenzellerland erweitern.

Jean-Brice de Bary, Lukas Imhof und Team

Unter diesem Link findet ihr die Einladung auch als PDF zum Ausdrucken und Weiterschicken.

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Wir freuen uns sehr über den gewonnen Studienauftrag «Mehrzweckhalle und Schulraumerweiterung Uesslingen-Buch“. Und wir freuen uns besonders darüber, mit diesem Projekt gewonnen zu haben. Denn wir haben uns bemüht, die Eingriffe so klein zu halten wie möglich, die Erweiterung knapp und integrativ und die ganze Anlage auf eine möglichst zurückhaltende, fast leise Art in ein zukunftsfähiges Ensemble umzuwandeln. Es ist schön, wenn die Fachjury, aber vor allem auch die zukünftigen Nutzer:innen solche Ansätze zu schätzen wissen.

Das bestehende Schulhaus, obschon zum Abbruch freigegeben, lassen wir stehen – und versuchen, mit einigen kleinen Eingriffen und einer kleinen Erweiterung die ursprünglichen Qualitäten des Baus wiederzufinden und in zeitgemässe Schulräume zu übersetzen. Selbstverständlich lassen wir auch den bestehenden Kindergarten stehen. Er funktioniert gut und hat das Ende seiner Lebensdauer längst nicht erreicht. Statt einem Abbruch versuchen wir, seine etwas unglückliche, städtebauliche Setzung in das neue Ensemble einzubinden. Die Erweiterung der Anlage mit einer Mehrzweckhalle, einem Kindergarten und Räumen für die Lehrpersonen erfolgt in einer Holzbauweise, die ihren Ausdruck zwischen der Sprache des Holzbaus, der Geschichte des Ortes und dem erhaltenen Schulgebäude findet.

Die Qualitäten des Projekts entstehen aber nicht nur durch die neuen Bauten, sondern vor allem auch durch die Räume, die zwischen den Bauten entstehen. Eine vielfältige Platz- und Raumabfolge entsteht, die auf verschiedenen Ebenen unterschiedliche Funktionen für Schule und Kindergarten, aber auch für das Vereins- und Dorfleben abzudecken vermag. Durch das Zusammenrücken der Bauten werden zudem die Landreserven geschont und der Versiegelungsgrad reduziert.

Ökologie, Ökonomie und Nutzung gehen so in der architektonischen Idee des Weiterbauens auf.

Am 1. März stimmten die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen von Uesslingen-Buch dem Planungskredit für die neue Schulanlage zu. Wir freuen uns sehr – und danke für das Vertrauen!

In seinem Text «Folge der Leiter!» (Daidalos, Teil 2: Shinohara, Tokio und die Verheissung menschlicher Schatten«) berichtet Tibor Joanelly von einem Gesprach Shinoharas mit einem Freund – der in die Innenräume der Wohnhäuser Shinoharas etwas hineindeutet, was er als «feeling of town» bezeichnet  – und was er schliesslich mit «the city in the metaphysical sense […] becomes visible in [Shinohara’s] residences» ausdeutet.

Ohne diese kleine Arbeit mit einem Bau von Shinohara vergleichen zu wollen und ohne Shinohara überhaupt als konkrete Referenz verwendet zu haben, empfinden wir beim Durchschreiten des komplexen und vielfältigen Raumgefüges dieser Physiotherapiepraxis in der Innenstadt von Lenzburg ein Gefühl wie beim Gehen in einem städtischen Kontext: Das neu hinzugekommene schmiegt sich an das Alte, wird vom Bestand ge- und verformt und wirkt wieder zurück auf den Bestand.

Um das schon einmal erweiterter Haus wird eine weitere Raumschicht gelegt. Es entsteht ein zusammengefügtes, vielschichtiges Raumgebilde, in dem alte und neue Teile aufeinandertreffen und zusammenkommen und in dem Räume und Wege entstehen, die man in einem Neubau niemals so planen würde. Es entstehen Durchblicke, Engstellen, Kreuzungen, Kurven, dunkle Ecken und Sackgassen. Greifbar wird der Raum erst in der Bewegung, verständlich wird er erst beim mehrfachen Besuchen. Die Tiefe des Raumgefüges und die bewusst nicht helle Farbigkeit gibt der Dunkelheit, den Schatten, den Reflexionen und schliesslich auch dem hellen Tageslicht besonderes Gewicht.

Die Projektleitung hat Caroline Schillinger besorgt. Der Bau wurde in einem begrenzten Kostenrahmen und in enger Zusammenarbeit mit Schär Holzbau ausgeführt. Die Bilder von Hannes Heinzer sind nun auf der Projektseite abrufbar, Publikationspläne folgen demnächst.

Lilly Reich hat es vorgemacht: Für die Ausstellung «Die Mode der Dame“ in Berlin entwickelte Sie das «Café Samt & Seide», bei dem die Raumbildung nur mit Vorhängen erfolgt. Die kongeniale Partnerin von Mies van der Rohe hat dabei mit einfachsten Mitteln ein verblüffendes Raugefüge entwickelt und die gestalterischen Möglichkeiten von Textilien ausgelotet. Giulia Conti schreibt dazu: «Eine Architektur, die gleichzeitig auch eine Selbstverleugnung ist: Der Vorhang definiert Räume, um sie zu zerstören, enthüllt Szenen für den Beobachter und verbirgt sie dann im nächsten Moment. Sie ist vorübergehend in ihrer Haltbarkeit und dauerhaft in ihrer Zerbrechlichkeit: Sie ist reich an Kontrasten und akzeptiert die zeitgenössische Unsicherheit, die auch das Gebaute durchdringt, von dem Reich vielleicht unwissentlich eine vorausschauende Visionärin war.» (Übersetzt aus dem Italienischen, zitiert nach «Lilly Reich e l’essenza tessile del progetto» in «Il giornale delle Architettura«)

Mit den (wenigen) überlieferten Bilder dieser Ausstellung im Kopf machten wir uns an den Entwurf für die neue Geschäftsstelle des Schweizerischen Textilverbands «Swiss Textiles». Die Realitäten der heutigen Arbeitswelt mit Homeoffice, projektübergreifender Teamarbeit und neuen Methoden der Kollaboration machte eine Neugestaltung der Geschäftsstelle nötig. Die Einzelbüros mit ihren Metall-Glas-Trennwänden weichen einem flexibel adaptieren Grossraumbüro, das mit flexiblen Zonierungen und ohne persönliche Arbeitsplätze funktioniert. Diese Neuorganisation der Arbeitsplätze spart im Vergleich zum Bestand rund die Hälfte der verfügbaren Fläche ein, wodurch Zonen für Workshops, informelle Besprechungen und neue Formen der Kollaboration freiwerden.

Material wollten wir möglichst sparsam einsetzen. Die architektonische Grundlage entstand durch «wegnehmen»: Abgehängte Decken, Wände, Verkleidungen, Hohlböden, Kabelkanäle. Was aber noch gebraucht werden kann, wird behalten und in die neue Gestaltung integriert – etwa in der Korridorzone die bestehende, abgehängte Decke mit den eingebauten Leuchten – sie stellt die nach wie vor benötigte Grundbeleuchtung sicher.

Der auf seinen Kern zurückgeführte Raum mit der dem Rohbau eigenen Ästhetik wird zur Bühne für eine Raumausstattung aus Textilien der Jakob Schläfer AG, von Tisca Tiara und Création Baumann. Mit äusserst wenig Material und einfachsten Lösungen wird Gestaltung, Funktion und Bauphysik gelöst. Der Teppichboden etwa absorbiert nicht nur Schall, sondern macht auch eine Trittschalldämmung unnötig – entsteht doch kaum Trittschall. Die verwendeten Vorhänge sind nicht nur Raumteiler und Stimmungsgeneratoren, sondern auch schallabsorbierend und teilweise akustisch trennend. So kann auf abgehängte Decken und andere Akustikmassnahmen verzichtet werden. Die nun sichtbare Betondecke aus den 1940er Jahren ist nicht nur schön, sondern auch wertvolle Speichermasse. Die Verkabelung erfolgt folglich «aufputz» und erübrigt so auch einen neuen Unterlagsboden, die Erschliessung der Arbeitsplätze mit Strom und Medien erfolgt nun von oben. Für digitale Meetings werden temporäre «Telefonkabinen» geschaffen: Vorhänge mit Kautschuk-Zwischenlage erreichen ein Schalldämmmass, das digitale Meetings und Telefonate ermöglichen, ohne das Grossraumbüro zu beeinträchtigen.

Es entsteht ein äusserst flexibles, räumliches System, das täglich angepasst und bei Bedarf mit einfachsten Massnahmen baulich verändert werden kann. Das Textildesign von Lela Scherrer ( Lela Scherrer by Jakob Schlaepfer AG) mit seinen Verläufen, Farben, Mustern und Transparenzen führt dabei zu einer sich stetig wandelnden, faszinierenden Komposition im Raum. Einfachheit und sparsamer Umgang mit Material sowie Flexibilität und Adaptierbarkeit stellen also keinen Widerspruch zu einer hochspezifischen und funktionalen Gestaltung dar.

Das kürzlich fertiggestellte Projektes ist nun auf unserer Webseite dokumentiert. (Pläne folgen demnächst.)

Seit dem Wettbewerb im Jahr 2019 wurde – neben den normalen Planungsarbeiten –  ein spezifischer, in hohem Masse nachhaltiger Prozess der Materialbeschaffung für die Betriebserweiterung der Appenzeller Alpenbitter AG entworfen. Nicht nur wurde das nötige Holz in den vier betriebseigenen, nahen Wäldern geschlagen, sondern auch – aufgrund der kurzen Transportwege – in der Sägerei des Klosters Magdenau eingeschnitten. Und die rund 100 Jahre alten Wälder, die weitgehend aus Monokulturen aus Fichte/Tanne bestanden, werden nun mit einem nachhaltigen, wertvollen Mischwald wieder aufgeforstet. (Mehr dazu auf der Seite der Appenzeller Alpenbitter zum Projekt und demnächst auch hier.)

Im August dieses Jahres aber war das Holz nun bereit, die Teile produziert, das Fundament erstellt und das Aufrichten konnte beginnen. Beindruckend, wie pro Achse zwei Binder gleichzeitig von Pneukranen in Position gehoben, aneinander gestützt und im Firstpunkt verschraubt wurden. (Die Halle ist bewusst so konzipiert, dass in den Hochregallager keine tragenden Stützen oder Wände integriert sind, sodass sie in Zukunft auch anders genutzt werden könnte. Die auf den Bildern erkennbare, dünne Holzwand unter den Bindern trägt nicht, sondern ist dem Brandschutz der Hochregallager geschuldet, in denen hochprozentige Alkoholika gelagert werden.)

Und nun, Anfangs Oktober, steht das Gebäude in einer ersten Rohfassung bereits da. Sein Ausdruck ist im Äussern zwar noch vom hellblauen Windpapier geprägt, doch in den nächsten Wochen wird die Fassade aus überdimensionierten Holzschindeln montiert. Und bereits jetzt staffelt sich das mächtige Volumen in mehreren Schritten so ab, dass das neue Gesicht der Appenzeller Alpenbitter AG zum denkmalgeschützten und frisch sanierten Sitterviadukt sichtbar wird. Die skulpturale Betonstütze im Bereich der Anlieferung bildet dabei der Kumulations- oder Ausgangspunkt der Volumetrie – und wurde auf einer trapezoiden Grundform mit schöner Präzision ausgeführt.

Im Inneren bilden die eigens entwickelten Hochregallager aus Holz – das auch aus den betriebseigenen Wäldern stammt – beeindruckende Gitterstrukturen, räumliche Schluchten und imposante Durchblicke; mächtig, präzise und dynamisch bilden die Stützen, Binder und Zugstangen das Tragwerk. (Tragwerkplanung B3 Kolb AG).

 

Es ist eine der Besonderheiten des Schweizerischen Detailhandels, dass sich ein Duopol von Migros und Coop rund 85% des Marktes aufteilen. Damit verbunden ist eine ungewöhnliche Markentreue von grossen Teilen der Bevölkerung – es gibt „Migroskinder“ und „Coopkinder“, die, geprägt von den Einkaufgewohnheiten der Eltern und den immergleichen Produkten und Eigenmarken, diese Treue vererbt bekommen. Geprägt sind die Bilder im Kopf von Generation von Kund:innen nach wie vor durch die in den 1970er Jahren in grosser Zahl entstandenen Supermärkten – gerade auf dem Land für Viele damals ein Novum, das kleine, individuelle Lädeli abgelöst hat. Sie waren oft ortsbildprägend und mit dem architektonischem Anspruch der 1970er-Moderne gestaltet.

Einer der letzten Migrosmärkte, der noch weitgehend im Zustand der 1970er Jahre erhalten war, war bis vergangene Woche jener in Appenzell. Mit seinen Neonröhren-Rasterdecken, den langen Regalgängen und vor allem dem zeittypischen Restaurant weckte er Erinnerungen  – und spätestens an seinem letzten Verkaufstag auch Sentimentalitäten: Es waren viele Appenzeller:innen gekommen, die ein Souvenir des alten Gebäudes mit nach Hause nehmen wollten und die Lokalpresse berichtete vom «Ende einer Ära«.

Bei jedem Besuch frappierend war die Ausstattung des Restaurants, die nach fast 50 Jahren intensiven Gebrauchs immer noch in einem erstaunlich guten Zustand war. Holzstühle und -bänke mit zeittypischen Kunstlederbezügen standen um Tische, die aus einer gelben Emailplatte mit grossen, runden Anleimern auf einem Holzgestell bestanden. Es schien uns nicht richtig, diese Tische einfach zu entsorgen – in einem zeitgemässen Schnellrestaurant hatten sie aber keinen Platz.

So kam uns die Idee, einige der Tisch zu Sitzgelegenheiten umzubauen, die in der Mall unserer neuen Migros Sandgrube aufgestellt werden sollten. Die Tischbein gekürzt, die Tischplatte mit einer Rückenlehne ergänzt und die Oberflächen saniert wird aus einem alten Tisch ein neues Bänkli. Eine simple Idee – aber ein langer Weg, bis die Anforderungen des Brandschutzes, der Ergonomie und der Stabiltät mit unseren gestalterischen Anforderungen in Einklang gebracht werden konnten. Unterstützt wurden wir dabei in herausragender Weise von der Customized Furniture Abteilung von Girsberger – einer Firma, die sich seit langem mit Remanufacturing, Refurbishment und Upcycling beschäftigt und darin eine hohe Kompetenz entwickelt hat.

Schliesslich stehen nun eigenwillige Sitzbänke als Spolien bzw. als kleines Re-Use-Projekt in der Mall der Migros in Appenzell. Ein Möbel, dass ein Stück der Appenzeller Migrosgeschicht bewahrt und bei der Eröffnung von einheimischen Besucher:innen mit Freude begrüsst wurde. Und ein Möbel, dass die gestalterische Kraft, die in der Auseinandersetzung mit vorhandenen Bauteilen liegt, ausschöpft. Denn ein solches Design würde sich niemand ausdenken und es würde vermutlich auch kaum eine Bauherrschaft das emaillieren von Sitzbänken bezahlen.